V O N T R Ä U M E N U N D S E H N S Ü C H T E N ANDREAS JÄNKE wurde 1955 in Berlin-Grünau geboren. Im August 1961 fl oh er mit seiner Familie nach West-Berlin. Nach Stationen in Karlsruhe, Nürnberg und Berlin zog er 1995 nach Potsdam, wo er noch heute lebt. Der August 1961 war eine große Zäsur in meinem Leben, denn ich verlor meine Heimat. Ich lebte damals mit meinen Eltern und meinen drei Ge- schwistern in einem kleinen Häuschen mit Garten am Waldrand im Osten Berlins, im beschaulichen Stadtteil Grünau. Die romantischen Straßennamen haben sich bis heute eingeprägt : Schilfsängersteig, Fuchsbau, Hasenlauf und Waldvogelweg. Meine Spielplätze waren der für mich damals unendlich große Birken- und Kiefernwald zwischen Adlergestell und Dahme-Strand und der zugewachsene Garten hinter dem Haus. Von der großen Stadt Berlin, dem pulsierenden Zentrum der Stadt, habe ich in Grünau nichts geahnt. Am 13. August 1961 verbreitete sich die Nachricht vom Baubeginn der Berliner Mauer wie ein Lauf- feuer. Wenige Tage zuvor waren wir bereits unter abenteuerlichen Umständen mit der S-Bahn in den Westteil der Stadt gefl üchtet und vorübergehend bei meiner Tante im Stadtteil Westend eingezogen. Unser Hab und Gut ließen wir in Grünau zurück. Nur die Kleidung, die wir auf dem Leib trugen, nahmen wir mit. Wichtige Dokumente und die Dias und Fotoalben meines Vaters hatte mein großer Bruder bereits in den Tagen vor unserer Flucht auf dem Fahrrad zu einem Bekannten nach Neukölln gebracht. Aus Angst, die UdSSR bzw. die DDR würde sich bei nächster Gelegenheit auch noch den Westteil Berlins einverleiben, beschlossen meine Eltern, Berlin sobald wie möglich mit dem Flugzeug zu verlassen. Und so kam es, dass wir bereits am 15. August 1961 ein Flugzeug in Berlin-Tempelhof bestiegen und unsere Heimat in Richtung Frankfurt/Main verließen. Erst 16 Jahre später kehrte ich nach Berlin zurück – aus Sehnsucht und Neugierde, meinen Wurzeln nachzuspüren. Im März 1990, kurz vor den ersten freien Volks- kammerwahlen, lernte ich auf einer Party in Berlin- Pankow die spätere Mutter meiner Kinder kennen. Eine Potsdamerin. Am Ostersonntag, den 15. April 1990, beschloss ich, sie in ihrer Wohnung in der Dortustraße in Potsdam zu besuchen. Telefonisch anmelden konnte ich mich nicht, denn sie hatte kein Telefon. Also fuhr ich auf gut Glück dorthin. Leider traf ich sie nicht an, nutzte die Gelegenheit aber, um wie zehntausende andere Osterbesucher durch den Park Sanssouci zu spazieren. Für mich war dieser Tag in Potsdam kurz nach dem Fall der Mauer wie eine Zeitreise in die unmittelbare Nachkriegs- zeit. Der Anblick der verfallenen Häuserzeilen in der Dortu- und Gutenbergstraße war erschreckend. Viele der barocken Gebäude waren, wie ich später erfuhr, für den Abriss vorgesehen. Niemand hatte etwas für die Instandsetzung getan. Einige der bau- fälligen Wohnungen waren besetzt, es fehlten aber die mir aus Berlin bekannten Transparente an den Häuserwänden. Nur in einigen Hinterhöfen trauten sich die selbst ernannten „Schwarzwohner“ auf die Besetzung hinzuweisen. Es war der Verein ARGUS, der bereits im November 1989 einen Abrissstopp für diese Häuser in der noch von der SED dominierten Stadtverordnetenversammlung durchsetzen konnte – eine Rettung im letzten Moment. Heute, 30 Jahre nach dem Fall der Mauer, erinnert an diese Zeit nicht mehr viel. Fast alle Gebäude sind wieder in Stand gesetzt, die Baulücken geschlos- sen. Doch die Geschichten hinter diesen Fassaden bleiben. Dein Potsdam- Podca VOM OSTEN IN DEN WESTEN UND ZURÜCK In dieser Episode erzählt Andreas Jänke von seinen Kindheitserinnerungen und Momenten, die er auf dieser emotionalen Reise erlebt hat. deinpotsdam.de 17